„Ich habe gerade masturbiert!!!“, schalle ich verärgert, tonfallentgleisend und heftig atmend in die Sprechanlage, ohne zu fragen, wer da sturmklingelstört. „Ja, das ist mir egal. Ich muss mit dir über etwas sprechen. Lass mich endlich rein jetzt!“, fordert Hanne am anderen Ende, unten vor der Haustür. „Sag mal, welchen Teil von 'masturbiert' hast’n du jetzt nicht verstanden?!“ „Es. Ist. Mir. Egal. Mach’ jetzt auf, oder ich stürme.“
Ich bin wirklich wütend, aber Hanne scheint es noch mehr zu sein, deshalb öffne ich. Widerwillig, aber ich öffne. Als sie oben ankommt — ich stehe ihr nur in Unterwäsche und Strumpfhose gegenüber — tritt sie direkt ein, drängt an mir vorbei, hastig, rasend. Ouh, sie ist wirklich aufgebracht. „Hanne,“ versuche ich es nun besänftigend, ruhig-klingend. „Hanne, kannst du dir vorstellen, dass ich heute, an meinem ersten freien Tag seit Wochen, wenn ich auf mehrmaliges Klingeln nicht reagiere, vielleicht wirklich wichtiges mit mir zu tun haben könnte?“ Sie hört mir scheinbar gar nicht zu und läuft in meinem Flur unablässig auf und ab. Ich versuche es weiter, flehender. „Hanne, ich hab’s mir gerade so schön gemacht. Hörst du?! Ich war so kurz davor. Das war heute richtig Arbeit. Und, verdammt nochmal, ich will jetzt kommen!“ Ich klinge nun verzweifelt, ich weiß das, denn ich bin es. „Ich will jetzt kommen, Hanne!“ „Ja, dann komm doch! Geh, mach’s dir. Ich warte hier.“
„Na, prima! Wie soll ich’n das machen?! Ich kann nicht kommen, wenn du hier auf- und abwanderst und auf mich wartest. Verstehst du? Kommen hat was mit entspannen zu tun. Ich komme immer, aber so geht’s nicht!“ — jetzt brülle ich. „Ich komme immer!“ äfft sie mich nach „Jaaa, ich komme immer. Ich kann immer kommen. Immer. Ich bin so ein Kommer. Ich nicht, hörst du das? Ich nicht. Und ich will jetzt mit dir über etwas wichtiges sprechen.“
Vollgeladen mit sexueller Energie, die sich nicht entladen kann, presse ich meine Schenkel gegen- und die Lippen aufeinander, drücke die Nägel meiner Daumen ins Fleisch meiner Zeigefinger und sage „Du schuldest mir was.“ Ich fasse Hanne am Arm und ziehe ihren bebenden Körper ins Wohnzimmer, platziere sie auf dem großen Teppich, mache Tee, serviere ihn in der schwarzen gusseisernen Kanne, setze mich ihr im Schneidersitz gegenüber und bin noch immer halbnackt. Ich finde diese Situation nicht befremdlich. Hanne hat mich schließlich schon in ganz anderen Momenten erlebt. Sie trug schon mein Blut an den Fingern, aus Bereichen, die andere in roten Zeiten meiden, als wäre es ein Viren-Potpourri. Deshalb juckt es mich auch nicht, dass mein gerade noch benutzter Vibrator unweit neben uns liegt. Hanne starrt hypnotisiert ins Leere, umfasst ihren Tee. Ich lehne mich zur Seite und greife nach dem rosa Silikonfreund, halte ihn ihr direkt vor die Nase und frage „Riechst du das auch? Also ich finde, mein Saft riecht heute irgendwie aufregender als sonst. Oder?“ Unfassbar, auch damit erreiche ich sie nicht. Ich hätte wetten können, dass sie lacht. Sie sitzt fest in Trance. Ich nehme den Dildo an meinen Mund und fahre lustvoll mit meiner Zunge darüber. „Also ganz im Ernst, ich schmecke auch anders. Aufregender. Ja, das ist es. Merkwürdig, findest du nicht? Meinst du, das kommt von der bewussten Enthaltung?“ Da. Das letzte Wort holt sie heraus. Sie tritt hervor. Enthaltung. Das hat sie gepackt. „Du musst dich also enthalten?! So lustvoll bist du? Immer?“ dabei steigt Hanne das Wasser in die Augen und ihre Mundwinkel suchen sich einen bitteren Strich nach unten. „Weißt du,“ spricht sie weiter „ich kann nicht mehr kommen.“ „Wie, du kannst nicht mehr kommen?“ „Ja, ich komme nicht mehr! Ich bekomme einfach keine Orgasmen mehr. Es geht nicht mehr.“ „Seit wann?“ „Seit fünf Monaten.“ „Seit fünf Monaten?!!“ „Ja, seit scheiß fünf Monaten.“ „Scheiße!“
Sie weint sich in meine Arme.
Nach ein paar Zwiegesprächen mit meiner Oma in meinem Kopf und einigen warmen Handstrichen über Hannes zartes Gesicht, streiche ich ihr zärtlich über ihren Hals, ihre Brüste, ihren Bauch und liebkose sie in Entrückung. „Was der Eine zu viel hat, hat der Andere zu wenig, hm? Das Leben ist unfair. Hanne, du wirst wieder kommen können. Glaub mir. Ich weiß es.“
Die Wahrheit ist aber, ich weiß es nicht.